After the Hype: Marvel’s Spider-Man

Die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft ist zurück und die neueste Inkarnation kommt nicht ohne gehörigen Hype aus. Aber ist der gerechtfertigt? Wir werfen mit ein wenig Abstand einen genauen Blick auf Spideys jüngstes Abenteuer. Von Florian Born.

Der Hype-Train hat mit Marvel’s Spider-Man Fahrt aufgenommen. Mit ihm kamen mehrere 10/10-Schreier und einige 90-Plus-Rezensionen für Insomniac’s Superhelden-Abenteuer. Ein paar Highlights:

Impulsgamer: “A joy from start to finish. It is not only one of the best games to be released this year, it is one of the defining games of a generation.”

Dualshockers: “(…) by far the best superhero game I ever played.”

COGconnected: “ (…) one of the best games I’ve ever played, full stop.”

Doch der Hype-Train ist weitergefahren. In der Ferne kann man noch die Rauchwolken der Lokomotive sehen. Und nun ist die Zeit gekommen, sich hinzusetzen und die eine Frage zu stellen, die gestellt werden muss: War der Hype gerechtfertigt? Ist es ein 10/10-Super-Mega-Spiel? Die Antwort: Nein. Aber es ist gut. Holen wir kurz aus:

Die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft

Zuerst zum wichtigsten Aspekt: Insomniac hat das Spider-Man-Feeling auf die Heimkonsolen gebracht, das wir aus den Comics, Spider-Man: Homecoming und einigen früheren Spielen kennen.

Peter Parker ist frech, smart und eine treue Seele. Gleichzeitig schafft es auch diese ältere Version von ihm (er steht bereits im Arbeitsleben) nicht, Privatleben und Spider-Man völlig unter einen Hut zu bekommen. Das Spiel gleitet in der Erzählung aber nicht in ausgelutschtes “Oh, nein, was wenn meinen Liebsten etwas passiert?!” ab.

Durch die Straßenschluchten von New York schwingen. Mehr Spidey-Feeling kann nicht aufkommen.

Diese gelungene Darstellung von Spidey zieht sich durch das ganze Spiel und ist mit Sicherheit das Beste daran. Er ist schnell und wendig und vermittelt genau das Gefühl, das wir von ihm haben wollen. Insbesondere merkt man das, wenn man zwischen den Wolkenkratzern New Yorks hindurchschwingt: Insomniac hat die Essenz Spider-Man erkannt und in ein Spiel gegossen.


Chaos in New York

Meine Lobeshymnen enden bei der Geschichte. Über die klassische Superheldengeschichte kommt das Marvel’s Spider-Man nicht hinaus. Sie folgt den altbekannten Pfaden rund um den Helden und seine Probleme, ohne dabei die mutigen Schritte zu tun, die ich mir von der Geschichte gewünscht hätte. [Anm.: Ich würd euch ja sagen, welche, aber damit müsste ich zu tief in die Spoilerkiste greifen.]

Allerdings – und das muss man ihm wieder zugute halten – gibt das Spiel einigen Charakteren mehr Tiefe und eine gelungene Darstellung, die wir in den alten Filmen schmerzlich vermisst haben. Besonderer Dank an Insomniac für Mary-Jane Watson und den gut aufgebauten Endgegner des Spiels.

MJ hat die ganzen Fehler ausgebügelt, die der Charakter in den alten Filmen gemacht hat.

Aber auch weitere Charaktere sind gut in Szene gesetzt. Das gilt unter anderem für May Parker und für den guten alten J. Jonah Jameson. Ich habe an vielen Stellen ehrlich um die exzellent geschriebenen Personen gebangt. Das überträgt sich aber nicht auf die Schurken. Leider.

Schwache Bosse

Während die Nebencharaktere und Pete selbst gut bis sehr gut gelungen sind, fehlt es den meisten Antagonisten von Marvel’s Spider-Man an Pfeffer und vor allem an glaubhaften (und nicht ausgelutschten) Motiven.

Außerdem hat Insomniac scheinbar auch die Kunst der Wiederholung für sich entdeckt. In zwei Fällen: 1. Bei den Bosskämpfen und 2. in der Welt. Bei ersteren muss man gefühlt viel zu oft das genau Gleiche wiederholen, um den Kampf zu gewinnen. Beinahe ohne Variation. Wenn zusätzlich das Grande Finale auch noch aus einem Quick-Time-Event besteht, muss es nicht verwundern, dass die Kämpfe gegen Negative Man, Shocker oder Wilson Fisk keine bleibenden Erinnerungen hinterlassen.

Die Kämpfe gegen die normalen Gegner funktionieren besser als die Bosse.

In der Welt fällt das sogar noch störender auf. Vielerorts müssen wir ein und dieselbe Aufgabe in minimaler Abwandlung lösen. Und selbst wenn es das erste Mal noch Spaß macht, Tauben aus der Luft zu fangen oder neue Flecken in der Karte aufzudecken, fragt man sich bei der fünfzehnten Wiederholung dann doch, wie stark Insomniac Strg+C und Strg+V beansprucht haben muss. Mehr Variation und mehr Tiefgang hätten der offenen Welt jedenfalls gutgetan.

Der Kampf

Was dafür umso besser gelungen ist, ist das Kampfsystem. Es wirkt in jeder Hinsicht wie die logische Erweiterung der Batman Arkham-Reihe oder von Shadow of Mordor. Angriff kann schnell an Angriff gekettet werden, man springt zwischen den Feinden umher, weicht Kugeln im letzten Moment aus und bringt die gelungenen Spezialfähigkeiten der unzähligen Anzüge ein.

Dabei balanciert Marvel’s Spider-Man gekonnt am schmalen Grat von zugänglich und fordernd ohne je zu simpel oder zu hektisch zu werden. Gleichzeitig kommt auch die Abwechslung in den Gassen von New York, den Gebäuden oder ähnlichem nicht zu kurz. Unterschiedliche Gegnerklassen und diverse Kampfgebiete bieten genug Variation.

Zusätzlich gliedert sich auch die Schleicherei geschickt ein. An einigen Stellen kann oder muss man Gegner zuerst still und heimlich ausschalten, ehe man sich dem Pulk an Feinden annimmt. Die diversen Tools an Spideys Handgelenk – Netzbomben, -minen, Schocker und mehr – bieten dabei ausreichend taktische Möglichkeiten.

Der Charakter

All diese Tools lassen sich natürlich verbessern und auch die Vielzahl an Outfits für Spidey können wir nach und nach craften. Zumindest wenn wir diverse Nebenaufgaben in der Welt erledigen. Denn nur über diese kommen wir an die Tokens, die wir für das Freischalten neuer Ausrüstung brauchen. Erneut: Bei den Nebenaufgaben mangelt es leider ein wenig an Variation.

Einige alternative Outfits bringen Variation in Spideys Kleiderschrank.

Und auch Spider-Man selbst ist verbesserbar. Für Erfahrungspunkte steigen wir im Level auf und klettern so langsam aber sicher den Skill-Tree entlang, über den wir neue Fähigkeiten bekommen oder bereits bekannte verbessern. Alles nicht neu, aber durchaus gut umgesetzt, auch wenn ich die Hälfte der Skills nie verwendet habe. Das hängt aber stark mit dem persönlichen Play-Style zusammen.

Fazit

Kommen wir zurück zur anfänglichen Frage nach dem Hype: Trotz einiger Wiederholungen und einer Geschichte, der mehr Pfeffer gut getan hätte, ist Marvel’s Spider-Man absolut spielenswert.

Es hat eine gute Story mit kleinen Schwächen, mehreren Gänsehaut-Momenten und einen grandiosen Spider-Man. Das Feeling ist da, die Nostalgie beim Blick zurück auf Spider-Man 2 kommt nicht zu kurz und die wenigen Schwächen rund um die Bosse sind vernachlässigbar. Dem Hype der 10/10-Schreier wird es aber trotzdem nicht gerecht.

[Anm.: Screaming Pixel hat die Kopie des Spiels von Sony zur Verfügung gestellt bekommen. Dies hat sich in keiner Weise auf unsere Berichterstattung ausgewirkt. Wir sagen es euch trotzdem.]


Bildmaterial © Marvel, Sony

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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