Gastkommentar: Mit den Frauen in die Offensive

Frauen sind in den meisten Genres unterrepräsentiert – aber nirgendwo so sehr wie in den Sportspielen. Dabei wäre gerade hier etwas zu erreichen. Von Mathias Kainz

Mittlerweile, so müsste man meinen, sollte es eigentlich auch im letzten Entwicklerstudio angekommen sein, dass Frauen einen großen Teil der Spiele-Community ausmachen. Und dennoch: Weibliche Hauptrollen sind immer noch eher die Ausnahme als die Regel – wenngleich wir uns in den letzten Jahren durchaus an starken Heldinnen erfreuen durften, wie etwa in Assassin’s Creed: Odyssey oder Horizon: Zero Dawn – und in vielen Spielen dienen sie bestenfalls als schmückendes Beiwerk und schlimmstenfalls als blankes Sexspielzeug (siehe Kingdom Come: Deliverance).

Ein Genre, in dem Frauen völlig an den Rand gedrängt werden, bleibt bei aller Kritik an diesem Umstand überraschend außen vor: Sportspiele. Dabei wäre gerade hier etwas zu erreichen – nicht nur, was Markterschließung angeht, sondern auch gesellschaftlich.

Sicher, in FIFA finden wir seit einigen Jahren ein paar ausgewählte Frauen-Nationalteams, und mit der neuesten Ausgabe dürfen wir erstmals auch im Story-Modus “The Journey” in die Fußballschuhe einer aufstrebenden jungen Kickerin schlüpfen – aber so aufwändig die Kampagne auch umgesetzt ist, die Frauen in FIFA bleiben mehr Draufgabe als wirklicher Spielinhalt. Und bei PES sieht es da noch düsterer aus, denn hier bleiben Frauen sogar ganz im Abseits.

Am Puls der Zeit

Codemasters macht seit einigen Jahren vor, wie es (ein bisschen) besser geht: In den offiziellen Formel-1-Spielen dürfen wir im Karrieremodus in den Rennoverall eines weiblichen Avatars schlüpfen – ungeachtet dessen, dass zuletzt 1976 eine Frau in der Königsklasse des Motorsports am Start war. Bei UFC 2 (wie FIFA aus dem Hause EA) war mit Ronda Rousey sogar eine Frau am Cover.

Beides sind aber eher Nischenspiele. Mit den Verkaufszahlen von FIFA können beide naturgemäß nicht mithalten, aber sie vermitteln dafür die wichtige Botschaft: “Auch Frauen sind im Sport erfolgreich”. Und hier hätten Sportspiele Unmengen an ungenutztem Potenzial. Anders als die meisten anderen Genres brauchen sie nämlich keine Fiktion, sondern finden in der Realität statt – und können so eine gesellschaftliche Message noch viel eher überbringen als jedes Fantasy-Rollenspiel und jeder SciFi-Shooter. Stichwort: Repräsentation und Sichtbarmachung.


Zurück zur Einstiegsprämisse: Pro Evolution Soccer hat im ewigen Krieg gegen FIFA eine herbe – und womöglich entscheidende – Niederlage erlitten. Mit dem Verlust der Lizenzen für Champions League und Europa League kommt dem hochwertigen Rasenschachsimulator aus dem Hause Konami das vorletzte wirklich schlagende Verkaufsargument abhanden. In Sachen Umfang war man hinter FIFA schon lange die Nummer zwei, nun verliert man auch noch die prestigeträchtige Königsklasse an den Konkurrenten.

Aus der Not eine Tugend

Genau hier könnte Konami aber einen Neustart für seine überaus beliebte Serie wagen – und anstatt des ohnehin Jahr für Jahr dünner werdenden Lizenzkaders bei den Herren auf die Damen setzen. Schließlich verfügen die großen Teams aus England, Italien, Spanien und Deutschland mittlerweile alle über Damenteams, wie Juventus, Barcelona, Bayern München oder Manchester United.

Um diese Lizenzen kümmert sich bei EA aber augenscheinlich niemand – gerade einmal 14 Frauen-Nationalteams schaffen es unter die rund 700 (größtenteils lizensierten) Mannschaften. Konami könnte damit aber einen ganz neuen Markt für seine Serie erschließen, denn der Frauenfußball hat eine große weibliche Fangemeinde, und der Identifikationsfaktor ist für junge Controller-Kickerinnen ungleich größer, wenn sie mit Stars wie Pernille Harder (Wolfsburg), Lieke Martens (Barcelona), Olympiasiegern und Weltmeisterin Megan Rapinoe oder DFB-Star Dzsenifer Marozsan (Olympique Lyon) über den Rasen jagen können.

Das heißt natürlich nicht, dass man bei Konami die Herren ganz außen vor lassen soll. Aber anstatt Geld für ein paar wenige lizenzierte Vereine zu zahlen und die Ligen dann mit Fantasieklubs zu befüllen, könnte man diese finanziellen Mittel in Lizenzen für Frauen-Teams und -Ligen investieren. Mit ein paar hochkarätigen Ligen – England, Deutschland, Italien, Spanien und unter Umständen die Frauen-Champions-League – und Nationalteams hätte man ein starkes Verkaufsargument.

Warum es nicht passieren wird

Es spricht ja grundsätzlich nichts dagegen, die Lücken im Kader mit den ohnehin schon üblichen Fantasie-Teams zu stopfen. Bekanntermaßen bauen sich die Fans mit dem PES-eigenen und recht umfangreichen Editor ohnehin ihre Lieblingsteams nach.

Wer die Simulations-Qualitäten von PES mit Männern spielen will, der hat mit ein bisschen Aufwand seinen Herzensverein in einer Stunde selbst zusammengebastelt. Und wer einmal mit den Juventus-Damen auf Titeljagd gehen will, der hätte endlich die Chance dazu.

Warum es trotzdem nicht passieren wird? Weil Spieleentwickler – wohl nicht erst seit EA’s Battlefront-Fiasko rund um Mikrotransaktionen – gehörigen Respekt vor einem Shitstorm in den Sozialen Medien haben. Und leider: die lautesten Stimmen auf Facebook und Twitter sind nicht immer die Tolerantesten.

Ganz abgesehen davon ist das männliche Publikum bei Sportspielen nach wie vor in der Überzahl – und auch, wenn darunter Frauenfußball-Fans sind, ob sie allein in Verbindung mit einem potenziellen neuen Zielpublikum unter den weiblichen Spielern ausreichen, um die Entscheidung wirtschaftlich tragbar zu machen, steht auf einem anderen Blatt. Und nur, um dem Frauenfußball ein Publikum zu verschaffen, wird man sich bei Konami wohl nicht auf das Risiko einlassen.


 

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