So haben Speedrun-Games meinen Ehrgeiz geweckt

Ihr mögt keine bockschweren Spiele und Multiplayer-Titel? Ihr glaubt, ihr hättet beim Spielen keinen Ehrgeiz? Dann versucht es doch mit diesen Games. Von Florian Born.

Ich spiele nicht gern gegen andere Leute. Vor allem nicht gegen jene, die ich nicht gut kenne. Das liegt daran, dass man meine kompetitive Ader mit dem Elektronenmikroskop suchen kann. Für einen Gamer ist das ziemlich untypisch. Viele unserer Zunft zerpflücken andere meiner Erfahrung nach schließlich liebend gern vor den Bildschirmen.

Neben einer Freude am freundlichen Wettbewerb fehlt mir auch noch eine zweites Naturell, das ich sehr oft bei anderen Spielenden sehe: Ehrgeiz. Im Gegensatz zu vielen anderen gibt es für mich kaum etwas Schlimmeres als den Gedanken, ein Spiel zu platinieren oder doch noch alle Bosse auf dem nächsthöheren Schwierigkeitsgrad zu besiegen.

Es muss dementsprechend nicht verwundern, dass man mich mit Trend-Genres wie Rogue-likes oder Souls-likes jagen kann. Oder noch schlimmer: Der Kombination aus beiden.

Ich verstand nie, welchen Reiz andere darin sehen, sich gegen zig Bosse abzumühen, um dann doch nur wieder an den Anfang zurückgeworfen zu werden. Ähnliches galt für Leute, die Online Runde um Runde gegen andere spielen, nur um wieder und wieder zu sterben und vielleicht doch zumindest einen Sieg zu erringen.

Kurzum: Ich ging immer davon aus, dass ich erstens nicht kompetitiv und zweitens nicht ehrgeizig sei. Und dann habe ich Lovely Planet gespielt.

Fieses, süßes Spiel!

Das Spielprinzip von Lovely Planet ist denkbar simpel: Wir laufen mit unserem Gewehr durch die simplistisch gestaltete Welt und müssen alle Bösewichter über den Haufen schießen, ohne dabei getroffen zu werden.

Am Anfang funktioniert das noch recht einfach, je weiter wir aber in den Levels voranschreiten, desto mehr Baddies finden wir. Dann kommen auch noch Bomben hinzu, die explodieren, sobald sie den Boden berühren. Und Feinde mit zielsuchenden Raketen. Machen wir auch nur einen Fehler, sterben wir und fliegen wieder zurück an den Anfang des kurzen Levels.

Ich weiß, was ihr euch denkt: “Das hat ihn sicher frustriert. So ganz ohne Ehrgeiz und Durchhaltevermögen, hat das Weichei das sicher auch gleich aufgegeben!” Eigentlich solltet ihr recht haben. Eigentlich hätte ich Lovely Planet genauso schnell weglegen müssen wie The Binding of Isaac oder Bloodborne. Aber absurderweise war das Gegenteil der Fall.

Wieder und wieder hat mich eine unerwartete Kugel getroffen oder habe ich einen Sprung versiebt. Jedes Mal stand ich wieder am Anfang des Levels und kämpfte mich erneut durch. Aber ich gab nicht auf.

Widersinnig

Im ersten Augenblick klingt das widersprüchlich. Wenn ich Rogue-likes und Souls-likes nicht mag, die mich wieder und wieder töten und/oder an den Anfang zurückwerfen, warum zur Hölle sollte ich dann ein Spiel mögen, dass genau das tut, nur wesentlich öfter?

Genau deshalb. Bei The Binding of Isaac und Bloodborne verliere ich mit jedem Tod 15 bis 45 Minuten an Fortschritt. Bei Lovely Planet sind es allerdings nur 15 bis 45 Sekunden. In vielen Fällen sogar noch weniger. Selbst wenn ich erst am Ende eines Gebiets in eine Kugel laufe, kostet mich das nur anderthalb Minuten.

Dieser kurze Zeitraum ist elementar für mich.

Zum einen verliere ich nicht große Stücke meines Fortschritts auf einmal, sondern immer nur kleine Happen. Das fördert natürlich meine Motivation, denn es macht es signifikant leichter, mir wieder zurückzuholen, was ich eingebüßt habe. Außerdem kann ich beobachten, welche Fortschritte ich gemacht habe. Und zwar nicht nur anhand der Anzahl der Räume, durch die ich mich kämpfe, sondern tatsächlich Gegner für Gegner, während die Bewegungen und Abläufe in mein Muskelgedächtnis übergehen.

Hinzu kommt, dass Lovely Planet simpel genug ist, damit ich erkenne, worin mein Fehler lag. Ich war zu langsam, habe mich falsch gedreht oder einen Gegner übersehen. Und da ich mich nicht mühsam zwanzig Minuten lang an die Stelle zurückkämpfen muss, kann ich mein neu gewonnenes Wissen sofort umsetzen.

Keine Pausen

Es ist diese Unmittelbarkeit, die Lovely Planet und andere Spiele dieser Art perfekt für mich machen. Apropos, andere Spiele: Der Titel von QUICKTEQUILA blieb nicht das einzige Spiel, das diesen Sweet Spot für mich erreicht. Danach habe ich nämlich den Parkour-Platform-Racer Razed für mich entdeckt.

In Razed müssen wir schnell rennen, springen, Schalter auslösen und driften. Wer stehen bleibt verliert hier nicht nur, sondern explodiert sogar. Eine Leiste füllt sich beim Laufen und leert sich bei buchstäblich allem Anderen. Jede Fähigkeit will also möglichst sparsam und präzise eingesetzt werden.  

Auch das superschnelle Parkour-Spiel Celaria passt in diese Nische. Ich konnte es letztes Jahr am ReVersed anspielen und war sofort vom Geschwindigkeitsrausch fasziniert. Bei allen drei Titeln bin ich entgegen meiner Natur sogar so motiviert, meine Zeit immer weiter zu verbessern, um doch noch den nächstbesseren Rang zu erreichen. In allen Levels.

Nicht allein

Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Dem Rogue- und Souls-likes zu frustrierend sind. Der nicht die kompetitive Ader hat, um sich mit anderen zu messen. Allen, denen es gleich geht, rate ich also: Gebt diesen kleinen Spielen eine Chance und entdeckt hier euren eigenen Ehrgeiz.

Ich habe mir übrigens schon die nächsten Titel ausgesucht, für die Zeit nach Razed und Lovely Planet. In Clustertruck werde ich über LKWs eine Autobahn entlang laufen. Oder einen Abgrund hinabstürzen. Und in Super Cloudbuilt werde ich über schwebende Plattformen hinwegschießen.

PC-Besitzer können übrigens auch zum Early-Access-Titel Rocket Boots Mania greifen. Die Reviews des tschechischen Indies sind vielversprechend. Übrigens: Falls ihr noch weitere Spiele kennt, die diesen gewissen Reiz für mich befriedigen könnten – im besten Fall für Switch oder PS4 –, tut mir einen Gefallen und gebt mir Bescheid. Jetzt habe ich nämlich meinen Ehrgeiz geweckt und er will gestillt werden.


Titelbild © tinyBuild, PQube

[amazon_link asins=’B00Y3JM6AG,B00CM9FBKG,B07485NQY7′ template=’ProductGrid‘ store=’screamingpixe-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’3bfa73ff-cde4-4d1d-9803-4b3ca3fcf823′]

Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

Deine Mail-Adresse wird nicht gepostet. Die benötigten Felder sind markiert*