Let’s Plays: Ich will doch nicht spielen

Let’s Plays unterhalten seit Jahren ein Millionenpublikum. Was macht ihren Reiz aus? Von Steffi Gmeiner.

Let’s Play-Videos haben einen festen Platz in der Spielekultur. Sie begeistern Millionen von Menschen und haben doch etwas mit Sportübertragungen gemeinsam: Wir verfolgen sie gefesselt am Bildschirm, spielen aber nicht selbst. Obwohl es weitaus einfacher wäre, einen Controller in die Hand zu nehmen, als selbst auf dem Rasen zu schwitzen.

Dieser Widerspruch steckt schon im Namen: “Los, lass uns spielen”, aber du schaust nur zu. Klingt gerade für die sonst so interaktiven Videospiele merkwürdig. Trotzdem tun genau das sehr viele. Ein paar aktuelle Zahlen hierzu:

Harte Klick-Fakten

Auf knapp 900.000 Aufrufe kommt allein Gronkhs erster Teil zu Red Dead Redemption 2. Über 4,8 Millionen Abonnements kann er als erfolgreichster Let’s Player im DACH-Raum verzeichnen. Der international erfolgreichste YouTuber ist ebenfalls ein Let’s Player. Mit über 83 Millionen Abonnenten steht der aufgedrehte Schwede PewDiePie unangefochten an der Spitze der weltweiten Rangliste. Und knapp 7,8 Milliarden Klicks kann der in Österreich gefragte Chaosflo44, der sich vor allem Minecraft verschrieben hat, aufweisen.

Das Format ist also mehr als beliebt. So sehr, dass für manche die Videoproduktion zum Beruf geworden ist. Eines können die Zahlen hier aber auch nicht beantworten: Was macht den Reiz dabei aus, tatenlos vor dem Bildschirm zu hocken und andere beim Spielen zu beobachten?

Zum einen erscheint es im Jahr 2019 nicht außergewöhnlich, kurze Clips in Serie zu konsumieren. YouTube hat für ein junges Publikum längst den Fernseher abgelöst. So weit, so gut. Warum gerade das Format der Let’s Play-Videos so viele Klicks generiert, ist so einfach aber nicht erklärt.

Die Stimme im Hintergrund

Deshalb ist die Frage nach dem Reiz der Videos wohl auch eine für die Wissenschaft. Im Vordergrund ihrer Erklärungen stehen dabei vor allem drei wichtige Aspekte: Unterhaltung, Information und Ausgleich.

Jetzt werden die wenigsten eurer Kiefer erstaunt nach unten klappen. Klar soll das angeklickte YouTube-Video ein unterhaltsamer Zeitvertreib sein. Dafür braucht es keine Wissenschaft, und warum gerade das Let’s Play für so viele von uns so unterhaltsam ist, wissen wir immer noch nicht genau. Da ist es sinnvoll, einen genaueren Blick auf die Videos selbst zu werfen.


Das wichtigste Element eines Let’s Plays ist die Personen, die uns durch den Clip „leitet“: Der Let’s Player oder die Let’s Playerin. Wie gut oder schlecht, interessant, amüsant oder charmant wir die Moderatorenstimme finden, entscheidet darüber, wie sehr wir uns an das Video binden und ob es uns bei der Stange hält. Von der überdrehten Annoying Orange bis zum entspannten Hobbypädagogen Gronkh: Das Netz hat hier für jeden Geschmack und jede Stimmung etwas parat.

So nah und doch so fern

Je nachdem ziehen Zuschauer auch verschiedene Dinge aus den Clips. Manche möchten etwas aus dem Privatleben der Kommentatoren erfahren, andere einfach Hilfe bei der nächsten Kaufentscheidung oder auch ohne Herzinfarkt-Gefahr Resident Evil 7 genießen.

Gerade bei Horror-Games lässt sich ein entscheidender Faktor der Let’s Plays beobachten. Denn die verlangen einem beim Selberspielen wesentlich mehr ab, als beim bloßen passiven Beobachten. Dabei sinkt durch die geringere Interaktion auch der Schockeffekt und das Genre wirkt nicht mehr so intensiv. Man kann beim Zuschauen das Geschehen wieder mehr kontrollieren, indem man auf Distanz geht. Diejenigen, die das Format auf diese Weise nutzen, suchen also einen Ausgleich für das, was sie nicht “leisten” können oder wollen.

Dass man als Zuschauer mehr Kontrolle darüber hat, wie tief man ins Spiel eintaucht, gilt selbstverständlich für alle Genres und Stile von Let’s Plays und macht das Format so flexibel. Man entscheidet selbst, wie nah man am Spiel dran sein will. Möchte man im Livestream direkt chatten, den Spielverlauf oder die Spielweise von einem Episoden-Game beeinflussen, oder sich doch lieber abends im Bett mit einer weiteren “Folge” Minecraft in den Schlaf wiegen lassen?

Dass beides möglich ist und man selbst darüber bestimmt, wie intensiv am Spiel des Let’s Play-Videos teilgenommen wird, macht dieses Format so speziell.

Fazit

Let’s Plays zu genießen, hat also sehr viele Gründe. Wie und warum  man sie verfolgt, liegt aber einzig und allein beim Publikum: gebannt; aufmerksam; nur nebenbei; um sich zu informieren; neues zu Lernen; ein Spiel zu erleben, das man nicht selbst spielt; etwas über die interessanten Let’s Player zu erfahren; um sich online in der Community auszutauschen; um sich beim Wäsche waschen nicht alleine zu fühlen; um einzuschlafen oder aufzuwachen.

Dass das Let’s Play so vieles kann und die Zuschauenden selbst regulieren können, wann und wo sie wie viel davon haben wollen, macht es besonders beliebt. Das einzige, was dieses Format nicht kann, ist die direkte Spielerfahrung selbst liefern.Aber das will man bei einem Let’s Play ja auch nicht. Genauso wenig, wie sich bei der nächsten Fußballweltmeisterschaft selbst über den Rasen zu quälen.


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Autor/Autorin

Gast Kommentar

Nicht nur uns beschäftigen Videospiele und ihre Macher. Auch diverse Gäste bieten spannende Perspektiven auf aktuelle Themen und bekommen auf Screaming Pixel eine Chance, ihre Meinung kundzutun.

Kommentare
  • Thomas Kunze#1

    18. Februar 2019

    Ich würde gerne ergänzend erwähnen, welches Lernpotenzial in YouTube und Twitch steckt. Dasbezieht sich nicht nur aber auch auf lets plays. Wir können heute fast alles was man in der Schule oder im Berufsleben lernt auch über youtube lernen. Und bei spielen gilt dies gleich doppelt. Wenn ich lernen will Europa universalis oder factorio oder rimworld zu lernen, an wen wende ich mich zuerst? Onkel YouTube wird’s schon wissen. Und gerade rund ums Thema Gaming und Game Design gibt es auch gute weiterführende Videos und Essays, wie von Mark Brown errant signal oder extra credits

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