Gewerkschaften: Die Rettung der Videospiele?

Überstunden und spontane Kündigungen machen in der Videospielbranche immer wieder Schlagzeilen. Eine Gewerkschaft könnte bei der Lösung dieser Probleme helfen. Von Florian Born.

Die Menschen hinter Videospielen haben es nicht leicht. Neben enormem Leistungsdruck arbeiten sie oft auch unter kritischen Arbeitsbedingungen. Erst vor kurzem kamen rund um das Thema zwei Fälle auf, die die Debatte darum wieder ins Licht der Aufmerksamkeit rückten. Einerseits bei Rockstar und andererseits bei Telltale.

Was ist bei Rockstar passiert?

In einem Artikel von Vulture hat Dan Houser, Rockstar-Chef und Lead Writer von Red Dead Redemption 2, verkündet, dass man 2018 mehrmals “100-Stunden-Wochen” gearbeitet habe. Wenig überraschend hat diese Aussage für einiges an Aufsehen gesorgt. Vor kurzem sind noch weitere Aspekte zum Thema in einem sehr lesenswerten Artikel von Kotaku aufgekommen.

Die Rede ist von einer Firmenkultur, in der exzessive Überstunden teils explizit gefordert werden, harte Arbeit mit vielen Stunden gleichgesetzt werden und unter der Beziehungen und Psychen zerbrochen sind. Der Artikel hat die vielen Posts von Ex-Rockstar-Angestellten bestätigt. Überstunden sind aber nicht nur ein Problem von Rockstar, sondern ziehen sich durch die gesamte Branche wie ein roter Faden.

Galt das auch für Telltale?

Mitunter. Aber der Kernpunkt war hier, dass das Studio im September den größten Teil seiner Angestellten von einem Tag auf den anderen restlos entlassen hat. Ohne Abfindungen und ohne Vorwarnung.

Können die das machen?

Genau hier liegt das Problem: Der Arbeitnehmerschutz in der Videospielindustrie ist gelinde gesagt unterdurchschnittlich. Unter anderem, weil es keine Gewerkschaften für den Sektor gibt.

Was würden Gewerkschaften denn ändern?

Zwar nicht alles, aber relativ viel. Gewerkschaften können in erster Linie dafür sorgen, dass die Rechte der Arbeiterschaft erhalten bleiben und es nicht dazu kommt, dass sie von den Studios und Publishern ausgenutzt werden. Hier geht um genau diese Dinge, die kürzlich Schlagzeilen machten: Crunch, also exzessive Überstunden wie bei Rockstar, und Arbeitnehmerschutz.

Daneben könnte eine Gewerkschaft auch dabei helfen, dass man in Verhandlungen stärkeren Rückhalt bekommt. Man steht nicht allein auf weiter Flur gegen einen übermächtigen Gegner sondern hat eine Institution, die einem den Rücken stärkt. Dadurch könnten Videospiel-Entwickler und -Entwicklerinnen auch mal bessere Löhne aushandeln.


Bessere Löhne? Werden Entwickler nicht sowieso gut bezahlt?

Nicht im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Bereichen. Da verdienen die Leute im Videospiel-Sektor relativ wenig. Aber sehr viele sagen nichts dagegen, denn man arbeite ja an etwas, das einem Spaß macht. Und außerdem solle man sich glücklich schätzen, dass man an Videospielen arbeiten dürfe. Das wollen schließlich ganz viele Leute.

Gibt es deshalb auch noch keine Gewerkschaften für Videospiel-Entwickler?

Genau. Es handelt sich ja auch tatsächlich um einen Job, den die Leute gern machen. Das erschwert die Gründung einer Gewerkschaft enorm, denn die Leute mögen ja eigentlich, was sie da tun. Und die Löhne sind nicht so schlecht. Aber es spielen auch andere Faktoren hinein.

Zum Beispiel?

Einer der wichtigsten Märkte der Videospielindustrie ist Amerika und gerade dort haben Gewerkschaften ein sehr schlechtes Standing. Man kann schon fast von einer Verteufelung sprechen, weil Gewerkschaften ja auch immer ein wenig nach Sozialismus klingen. Und das ist für viele Leute in Amerika ein rotes Tuch.

Dadurch hatte die Branche bisher auch nicht die Möglichkeit, eine Gewerkschaft zu gründen. Im Vergleich zu anderen Bereichen, gibt es Videospiele ja auch noch nicht so lange. Und dann gibt es da auch noch das Problem der jungen Männer.

Junge Männer? Was haben die denn damit zu tun?

Sie sind die Kerngruppe von Angestellten und gleichzeitig auch die demographische Gruppe, die am wenigsten auf die eigene Work-Life-Balance achtet. Viele unter ihnen – vor allem in der Tech-Szene – arbeiten lange und rastlos an den Projekten, hinter denen sie stehen, und opfern dabei oft auch ihr Privatleben. Übrigens kann auch nur so freiwilliger Crunch entstehen. Absurderweise sind sie diejenigen, die sich den härtesten Arbeitsbedingungen aussetzen, aber gleichzeitig auch jene, die die Gründung einer Gewerkschaft kaum interessiert.

Also arbeiten die Angestellten gar nicht aktiv auf eine Gewerkschaft hin?

Genau. Und die großen Publisher und Studios werden natürlich den Teufel tun und die Sache aufbringen.

Aber Gewerkschaften sind doch sicher auch kein Allheilmittel, oder?

Absolut nicht. Das behaupten wir auch nicht. Tatsächlich können auch Nachteile durch Gewerkschaften entstehen. Unter anderem wird ihnen zugeschrieben, dass sie Produktivität verringern, Löhne fixieren oder korrupt wären.

Allerdings sieht es aktuell so aus, dass die großen Unternehmen zurzeit quasi die gesamte Macht in der Videospielindustrie haben und sich natürlich in erster Linie um ihre eigenen Interessen kümmern. Und wenn wir historisch eines belegen können, dann dass die oft nicht deckungsgleich mit denen der Arbeiter sind.

Kurz: Es braucht jemanden, der es mit den Unternehmen aufnehmen kann und der die Interessen der Arbeitnehmer vertritt. Eine Gewerkschaft wäre eben die klassische Variante davon.

Und so etwas gibt es bisher nicht?

Nicht in Form einer Gewerkschaft für Entwicklerinnen und Entwickler. Die ILO (International Labor Organisation) vertritt Arbeitnehmerrechte weltweit, aber sie kümmert sich natürlich in erster Linie um sehr prekäre Arbeitssituation.

Und dann gibt es noch die SAG-AFTRA, die amerikanische Gewerkschaft für Leute in Medienberufen. Hier geht es aber eher um Schauspielerinnen und Schauspieler, die in Videospielen für die Synchronstimmen verantwortlich sind.

Für Videospiele an sich gibt es eine Organisation, die bisher aber noch nicht den Status einer Gewerkschaft innehat. Game Workers Unite will sich international für die Rechte von Entwicklerinnen und Entwicklern einsetzen. Ihr Ziel ist eine Gewerkschaftsgründung. Zusätzlich sprechen sie sich auch dafür aus, dass Videospiele mit fairen Arbeitsbedingungen irgendwie sichtbar gemacht werden, um deren Wert aufzuzeigen.

Das könnte zum Beispiel mit einer Art Gütesiegel passieren. Man könnte sich dabei an den Gütesiegeln von NGOs wie jene in der Bekleidungsindustrie orientieren. Fair Wear zum Beispiel.

Und was passiert, bis eine Gewerkschaft gegründet wird?

Die Entwicklerinnen und Entwickler müssen selbst erkennen, wo ihre Grenzen sind und sich gegen den Druck von oben wehren. Publisher und Studios sollten auf der anderen Seite erkennen, dass faire Arbeitsbedingungen und weniger Crunch ihren Spielen nur helfen können, weil dadurch ja auch die Qualität steigt.

Ohne eine Institution, die sich den übermächtigen Publishern effektiv entgegenstellen kann, wird sich aber vermutlich nur sehr wenig ändern.


Titelbild © Telltale, Rockstar

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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