Das Märchen vom unpolitischen Spiel

“Lasst die Politik aus meinen Spielen”. Welcher Unwillen und welches Missverständnis hinter dieser immer noch weit verbreiteten Forderung steckt:

Man solle Spiele gefälligst isoliert und ausschließlich auf ihren Unterhaltungsaspekt hin kommentieren. Das ist ein Wunsch, der unaufhörlich unter diversen tiefgreifenden Beiträgen im Games-Journalismus zu finden ist. Dem kann selbstverständlich jeder nachkommen. Allerdings würde der Review oder dem Kommentar dann garantiert jene umfassende Objektivität fehlen, die sonst so vehement von journalistischer Arbeit gefordert wird.

Wenngleich die Utopie von hundertprozentiger Objektivität nie erreicht werden kann, gibt es doch viele Teilaspekte rund um ein Videospiel, die wir nicht ignorieren dürfen. Das beginnt bei den geistigen Schöpfern eines Produktes und zieht sich über die gesamte Vermarktung bis hin zum tatsächlichen Inhalt. Lässt man die Umstände außen vor, ist die geringste Folge ein schwacher Artikel, im schlimmsten Fall ein Katalysator für negative politische Agenden, Mobbing oder Rassismus.

Stichwort: Kontext

Die Rahmenbedingungen für ein Videospiel sind vielfältig, komplex und stets politisch. Selbst wenn Spiele nur unterhalten sollen, ja, selbst wenn sie auch tatsächlich nur aus diesem Grund erschaffen werden, passiert das nicht überall auf die gleiche Weise. In jedem Entwicklerteam stecken unzählige Jahre Lebenserfahrung, die die Menschen hinter den Codes geprägt haben. Jeder Mitarbeiter hat sein ganz persönliches Weltbild, das Ausgangspunkt für sämtliche Gedanken und Handlungen ist.

Schulbildung, aktuelle Zeitgeschichte und soziale Erfahrungen spielen allesamt eine Rolle. Wenn also die Rede von Kontext ist, muss damit nicht einmal eine absichtliche Agenda der Hersteller gemeint sein.

Debatten haben gezeigt, dass es sinnvoll sein kann, Spiele auf ihre Herkunft und die Intention ihrer Entwickler hin zu untersuchen. Ein kritisches Hinterfragen des Weltbildes hat im Falle von Kingdom Come: Deliverance zu wichtigen Statements und einem Fortschritt in der kulturellen Betrachtung von Videospielen geführt. Dass man das Kontextualisieren auch übertreiben kann, zeigen hingegen die Vorstöße von PETA im Bezug auf virtuellen Tierschutz.

Abgründe in Kommentarsektionen

Ich verstehe, woher das Verlangen kommt, Spiele einfach nur genießen zu wollen. In Kommentaren wie unter SidAlphas Video zu Far Cry 5 findet jedoch eine fehlerhafte Schwarz-Weiß-Malerei statt. Von SJWs (Social Justice Warriors) und engstirnigen Linksextremen ist die Rede. Diese würden alles torpedieren, was nicht ihrem vorgefertigten Weltbild entspricht. Ein Vorwurf, der auch gleichermaßen an den rechten Rand des Gesinnungsspektrums gerichtet werden kann und gerichtet wird.

Doch es geht nicht darum, linke und rechte Ideologien als richtig oder falsch zu definieren. Vielmehr offenbart die gesamte Debatte einen weit verbreiteten Unwillen, Videospiele auch als etwas anderes als Unterhaltung zu sehen. Bislang schrieb man ihnen das größtenteils als einzigen Zweck zu.

Ob das überhaupt jemals korrekt war, kann man durchaus bezweifeln. Aber erst seit Kurzem erkennt die Welt Videospiele nach und nach als Kunstform an. Was für Kunstwerke wie Gemälde oder Musikstücke in der allgemeinen Wahrnehmung schon lange galt, wird damit auch für Videospiele offensichtlicher: Künstlerische Produkte transportieren Botschaften – sowohl in sich selbst als auch im Kontext ihrer Herstellung und Herkunft.

Wenn sich diese Botschaften um gesellschaftlich relevante Themen drehen, ist das nun mal in hohem Maße politisch. Häufig wird der Begriff “politisch” fälschlich mit einer gezielten politischen Kampagne gleichgesetzt. Das Spektrum reicht in Wahrheit von Unbedarftheit und nachlässigem Design bis zu Extremfällen wie tatsächlichen Propagandaspielen wie es der Youtube-Kanal Extra Credits in einem Video thematisiert hat.

 

Spiele sind politisch

Unterm Strich steht die Erkenntnis, dass ein Spiel mehr als ein Dopaminproduzent ist. Wer macht ein Spiel und wofür steht der Entwickler und das Team? Welche Ambitionen haben sie? Welche Ambitionen verfolgt (laut Entwickler/Marketing) das fertige Produkt? Erfüllt das Spiel seine eigenen Ansprüche? Wie passen diese Ansprüche und das Gezeigte in den aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext? Wir sollten uns diese Fragen im Hinterkopf behalten, bevor wir uns zum Kauf entscheiden. Auch wenn das unbequem erscheinen mag.


Titelbild: Ubisoft

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

Kommentare
  • Eugen Pfister#1

    11. Mai 2018

    Lieber Clemens,

    Danke für den richtigen Artikel! In der Forschung beschäftigen wir uns schon seit Längerem mit dem Thema, aber wir haben es – wahrscheinlich auch aus eigenen Fehlern – noch sehr schwer mit dem Thema auch Gehör abseits der Gewaltbereitschaftsdebatte zu finden.

    Ich habe zum Beispiel vor Kurzem einen längeren Vortrag in drei teilen dazu verbloggt (für jene, die es interessiert)
    1. „KEEP YOUR POLITICS OUT OF MY GAMES!“ https://spielkult.hypotheses.org/1566
    2. ON POLITICAL COMMUNICATION IN DIGITAL GAMES https://spielkult.hypotheses.org/1614
    3. GAMES ARE NEVER INNOCENT https://spielkult.hypotheses.org/1689

    LG
    Eugen

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    • Clemens Istel#2

      11. Mai 2018

      Lieber Eugen,

      Ich verfolge natürlich auch immer zumindest mit einem halben Ohr/Auge die Game Studies. Der Titel meines Beitrags war, glaube ich, sogar durch einen Tweet von dir motiviert, den ich aber nicht mehr finde, um es zu belegen.

      Das Thema ist und bleibt spannend und eine weitere breitenwirksamere Auseinandersetzung damit kann dem Medium Videospiel nur helfen. Ich hoffe, dass es sowohl den Game Studies als auch uns gelingt, noch mehr Bewusstsein zu schaffen.

      Jedenfalls danke für die Blumen. Vielleicht können wir die ja eines Tages mit einem gemeinsamen Bier gießen. Würde gerne einmal nach Wien kommen und euch ein wenig auf die Finger schauen.

      LG Clemens

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