Körperlich beeinträchtigt? Dann darfst du das nicht spielen

Pokémon Let’s Go und Spyro Reignited schließen durch Entscheidungen im Gamedesign kategorisch Menschen aus. Ein Blick auf die Probleme der Games-Industrie für Leute mit Behinderung. Von Florian Born.

Nintendos aktuelle Pokémon-Ableger – Let’s Go Evoli und Let’s Go Pikachu – streichen durchwegs gute Bewertungen ein. Auch in unserer Review kamen die beiden neuen Titel gut weg. Gerade die veränderte Fang-Methode beschleunigt den Titel im Vergleich zur klassischen gelben Edition ungemein. Sie hat aber auch ein großes Problem. Sie schließt Menschen mit bestimmten Behinderungen aus.

Zur Erklärung: Will man ein Pokémon in den aktuellen Ablegern fangen, muss man an der gedockten Switch mit dem Joycon eine Wurfbewegung nachahmen. Im Handheld-Modus funktioniert das Werfen zwar durch einen einfachen Tastendruck, man muss aber die gesamte Konsole immer ein wenig bewegen, damit das Ziel in der Mitte bleibt.

Das Problem dabei ist, dass Leute mit motorischen Schwächen dadurch extrem eingeschränkt werden. Gerade Pokémon, die sich viel über den Bildschirm bewegen, stellen sich für Menschen mit beispielsweise MS oder Parkinson als unfangbar heraus. Man verliert – auch im Handheld-Modus – ständig den Fokus darauf.

All das wäre halb so wild, wenn man die Motion Controls einfach ausschalten könnte. Ein simpler Punkt in den Einstellungen würde dafür reichen. Aber den bietet Nintendo nicht. Die Bewegungssteuerung ist zwingend.

Motion Control ist Pflicht

Das macht Spiele für einige Leute unspielbar. Das ist keine neue Erfindung der Switch, sondern kam auch schon bei der Wii vor. Zum Beispiel bei The Legend of Zelda: Skyward Sword. Will man das Schwert schwingen, muss man die Wiimote schütteln. Eine andere Steuerungsvariante gibt es nicht.


Dabei handelt es sich hier nicht um ein Spiel, das fein abgestimmte Schwertschwünge verlangt, wie Red Steel 2. Dort ist es ja auch das zentrale Element des Spiels und der wichtigste Kaufgrund. Bei Skyward Sword müssen wir den Controller einfach nur schütteln. Ein Signal, dass man auch einfach durch einen Tastendruck ersetzen könnte.

Aber Bewegungssteuerung ist nicht der einzige Schnitzer, den sich die Videospielindustrie gegen Menschen mit körperlichen Behinderungen erlaubt. Allein im letzten Monat gab es noch einen weiteren Vorfall.

Du hörst nicht? Egal!

Auftritt: Activision mit der Spyro Reignited Trilogy. Als würde das Unternehmen versuchen, möglichst viel schlechte Presse auf die Remaster zu lenken, haben sich die Entwickler dazu entschieden, während den Video-Sequenzen keine Untertitel anzuzeigen. Wie bei den Motion Controls von Pokémon Let’s Go ist auch das nicht über die Einstellungen änderbar.

Absurd an der Geschichte ist, dass die Untertitel im restlichen Spiel sehr wohl verfügbar sind. Läuft man in der Welt herum und interagiert so mit Charakteren, werden sie gewohnt am unteren Bildschirmrand eingeblendet. In den Cut-Scenes allerdings – also den Sequenzen, die die Geschichte vorantreiben – verzichtet man darauf.

In anderen Worten: Activision und Toys for Bob haben sich dafür entschieden, lieber Gehörgeschädigte nicht an der Story von Spyros Abenteuern teilhaben zu lassen, als Untertitel einzufügen. Ihr Grund dafür ist ein besonderes “Highlight”.

Einerseits wollte man für die Remaster “die Integrität und das Vermächtnis von Spyro, das Fans in Erinnerung haben, intakt halten.” Natürlich: Alle würden sich schrecklich über Untertitel aufregen, weil die das Spielgefühl komplett untergraben.

Andererseits handle es sich bei Untertiteln um keinen Industrie-Standard. Ergo müsse man eigentlich ja auch keine einfügen. Ein Statement, das auch nur bedingt stimmt. Zwar gibt es keine gesetzliche Bindung dafür, aber wenn quasi alle Spiele der letzten Jahre sie einsetzen – eine der sehr wenigen Ausnahmen ist das Crash Bandicoot Remaster von Activision –, sollte es eine Norm werden.

Im kleineren Rahmen

Abseits der großen aktuellen Punkte machen Videospiele es vielen Leuten auch durch andere Aspekte unnötig schwer. Eines der prominentesten Beispiele ist Button Mashing in Quick-Time-Events. Leute mit feinmotorischen Schwächen müssen sich in der Regel mühsam durch die Sequenzen arbeiten oder alternativ sogar den Controller abgeben.

Das lässt sich in vielen Spielen – so zum Beispiel in Marvels: Spider-Man (PS4) – durch einen einzelnen langen Tastendruck ersetzen oder sogar ganz ausschalten. Alles optional. Das ist auch der zentrale Punkt dieser Angelegenheit.

Niemand zwingt

Es geht in den ganzen Punkten vorhin nicht darum, sämtliche Aspekte aus Spielen herauszunehmen, die vielen Leuten Spaß machen, nur weil wenige sie nicht nutzen können. Wenn ihr den Pokéball mit einer Wurfbewegung werfen wollt, ist das euer gutes Recht. Und es ist genauso euer gutes Recht, dass euch das Spaß macht und niemand soll euch das wegnehmen. Aber es sollte auch für jene, die Probleme mit dieser Bewegung haben, eine Möglichkeit geben, Pokémon zu fangen.

Bitte gebt jenen, die es brauchen, einfach eine Alternative. © Nintendo

Ganz ähnlich wie bei Treppen. Nur weil manche Leute im Rollstuhl sitzen, heißt das nicht, dass wir Treppen verbieten müssen. Aber wir müssen eine Alternative zu ihnen bieten, damit alle nach oben gelangen können.

Auch verlangt niemand, dass man Spiele zwingend für alle spielbar macht. Das kann und wird niemals möglich sein. Egal, wie sehr wir uns bemühen, in den nächsten Jahren werden Videospiele für Blinde einfach nicht zugänglich sein. Aber wir können uns dafür einsetzen, das technisch Mögliche umzusetzen. Aspekte wie Untertitel oder das Aussparen von Motion Controls oder von Quick-Time-Events.

Es braucht nicht viel

Das passiert auch schon in einigen Fällen. Ubisoft hat zum Beispiel bei Far Cry 5 einen Farbmodus für Farbenblinde integriert. Der funktioniert laut einem Foren-Eintrag bei Gamespot zwar noch nicht so gut wie gewünscht, aber die Richtung ist vorgegeben und wird durchaus positiv angenommen.

Einige Spiele bieten bereits leichtere Modi an, damit mehr Leute die Geschichte erleben können, oder deaktivieren hektische Quick-Time-Events. Und dann gibt es natürlich noch die adaptiven Xbox-Controller; quasi der Gipfel der bisherigen Entwicklungen, Spiele für mehr Zielgruppen zugänglich zu machen.

Es braucht also eigentlich nicht viel. Es braucht keine Wunder oder großen Anstrengungen. Nur zwei Gedanken, wenn ein Feature in ein Spiel integriert wird: 1. Könnte dieses Feature jemandem große Probleme beim Spielen bereiten? 2. Kann ich es irgendwie ersetzen und es ihm leichter machen?

[Anm.: Wenn ihr noch andere Fälle kennt, wie behinderte Menschen von Videospielen ausgeschlossen werden oder euch Spiele einfallen, die besonders inklusiv sind, erzählt uns gerne davon. Wir freuen uns über alle Hinweise.]


Titelbild © Activision, Pixabay

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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