Gewalt in Games: Mehr Blut bitte!

Videospiele sind viel zu brutal? Nein. Sie gehen nur völlig falsch mit dem Thema Gewalt um.

Videospiele werden gerne damit konfrontiert, dass sie viel zu brutal sind. Das war schon immer so. Also nein, ProSieben: Ihr habt da mit eurem netten Newstime-Beitrag nichts Neues erfunden. Sorry, dass ihr es so erfahren müsst.

Konstant hört man von Leuten mit wenig Gaming-Erfahrung, Spiele würden viel zu viel Fokus auf Schwerter, Gewehre und blutige Eskalation legen. Besonders schön ist das, wenn das von so unwichtigen Leuten kommt wie dem verdammten Präsidenten von Amerika. Aber ich sollte mich nicht aufregen. Ist ja nicht so, als hätte Amerika keine anderen Probleme. Ständige Tote durch Schusswaffen oder Rassendiskriminierung oder die Verschmutzung der Umwelt oder die extreme Spaltung der Gesellschaft oder hohe Staatsverschuldung oder ein Bildungssystem, das Menschen in die ewige Schuldenfalle lockt oder…

Ich schweife ab! Der Punkt ist, dass Games ja viel zu brutal sind. Das sagen zumindest alle. Aber ganz ehrlich? Das ist Blödsinn. Games müssten noch viel brutaler sein.

Wait… What?!

Ja. Richtig gelesen. Ich finde, Games sollten brutaler sein. Sie sollten blutiger sein. Und vor allem sollten sie noch viel ehrlicher mit Gewalt umgehen. Wenn Videospiele in der Gesellschaft ernst genommen werden wollen, dann müssen sie die ernsten Themen auch als solche behandeln. Und dann heißt das eben, das mal Blut fließen und vor allem Schmerz gezeigt werden muss.

Als letztes Jahr mehrfach Gewalt gegen Frauen und Kinder in Games gezeigt wurde (man blicke an dieser Stelle zu den Trailern von Detroit: Become Human und The Last of Us Part II), da ging ein Aufschrei durch die Medien. Sowas könne man nicht zeigen! Das ist viel zu brutal! Viel zu hässlich! Man bringt die Leute nur auf blöde Gedanken.

The Last of Us Part II macht Frauen zum Opfer von Gewalt. © Sony

Ich bin anderer Meinung. Gerade so etwas sollte die Industrie zeigen. Gewalt gegen jene, die tatsächlich Gewalt ausgeliefert sind und sich nicht wehren können. So etwas muss sie sogar zeigen, wenn sie sich ernsthaft mit Gewalt auseinandersetzen will. Denn Brutalität besteht eben nicht nur einfach aus einer Kugel, einer roten Wolke und jemandem der umfällt wie ein Sack Kartoffeln.

Gewalt ist blutig, dreckig und grausam. Menschen verspüren Schmerz und Leid. Sie tragen physische und psychische Schäden davon, die vielleicht erst nach Jahren geheilt werden. In Games? Da hockt man sich hinter einen Felsen und wartet, bis die Lebensanzeige wieder voll ist. Da verpuffen Feinde einfach im Gras oder bleiben liegen. Niemand jammert, niemand weint, niemand brüllt vor Pein, niemand nässt sich ein.

Saubere Gewalt

Im Prinzip ist das, was Games uns zeigen, nichts anders als saubere Gewalt. Sie bieten uns die coolen Aspekte, lassen aber das ganze Zeug, das uns daran erinnern könnte, dass Gewalt eigentlich gar nicht so super ist, außen vor.

Jemanden mit dem Schwert hauen? Toll. Ihm dabei zusehen, wie er vor Schmerz verkrümmt am Boden liegt und seine Innereien umklammert. Nicht so toll.

Solange man sich nicht mit den ernsthaften Elementen auseinandersetzt, macht Gewalt ja Spaß. © WB Interactive

Wenn dann also statt erwachsenen Männern auf einmal Frauen oder Kinder Gewalt ausgesetzt sind – erneut der Wink zu den Trailern von The Last of Us Part II oder Detroit: Become Human–, dann bricht das mit dem, was Games uns bisher gezeigt haben: der sauberen Gewalt.

Denn auf einmal kriegt ja nicht mehr der große starke Held aufs Maul und fällt in einer roten Wolke zu Boden. Nein. Auf einmal schreien da Leute auf und winden sich vor Schmerzen. Da wird eben keine saubere Gewalt mehr gezeigt.

Eine Illusion

Solche Themen in Games brechen eben mit der Illusion von Gewalt ohne die ganzen nervigen Aspekten, die mit der Realität kommen. Diese Illusion, die das spielende und schauende Volk sich über die letzten Jahre aufgebaut hat.

Ich schreibe bewusst auch schauende, denn Filme nehme ich hier nicht aus der Verantwortung. Auch sie – zumindest im Fall der meisten Blockbuster – zeigen nur eine saubere Version von Gewalt. Die lustigen Sachen eben. Und die hässlichen ignorieren sie.

Flammenwerfer sind cool, solang niemand die Schreie der Verbrennungsopfer hören muss… © EA

Und wir als Gesellschaft erwarten uns das mittlerweile schon. Wir sind die saubere Gewalt schon so gewohnt, dass wir die echte Gewalt nicht mehr ertragen können. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass eben nicht nur starke Männer ins Gesicht geschlagen werden, sondern eben auch jene, die sich nicht dagegen wehren können.

Die Verantwortung der Games

Das muss sich ändern. Wir dürfen nicht mehr die saubere Gewalt mit dem verwechseln, was Gewalt wirklich ist. Und Games können dafür sorgen. Sie können die wahren Aspekte von Gewalt zeigen. Die hässlichen, die schmutzigen, die lauten und die qualvollen.

Games müssen sogar damit anfangen, genau das zu zeigen. Nicht nur, weil sie nur so endlich als Medium ernst genommen werden können und die leidige „Games sind so brutal“-Debatte zu ihrem eigenen Vorteil nutzen können. Sondern auch, weil es in ihrer Verantwortung liegt, ihre Konsumenten zu prägen und zu zeigen, wie die Dinge wirklich sind.


Titelbild © Sony

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!