Brauchen wir Storys in Sportspielen?

Spätestens seit der letzten E3 ist klar: EA Sports setzt auf Kampagnenmodi. Rennspiele versuchen sogar schon länger, den Asphalt mit Geschichten zu schmücken. Gelungene Vorzeigebeispiele fehlen bislang.

FIFA, Madden und auch 2Ks NBA-Serie setzen allesamt auf das individualisierte Karriereerlebnis. Vom Balljungen zum Champions-League-Sieger, vom College-Spieler zum NBA-Allstar. Freunde der Sportspiele können nun einen eigenen Sportler kreieren und haben dessen Weg zum Erfolg selbst in der Hand. Künftig steuert man also nicht mehr Lionel Messi, Tom Brady oder Stephen Curry. Der Spieler tritt selbst an ihre Stelle. Oder noch besser: An ihre Seite.

Die mittelmäßigsten Geschichten schreibt der Fußball

Wenngleich die Faszination, zusammen mit den Stars um den Sieg zu fighten, unbestritten sein dürfte, stellt sich doch die Frage, wie gut die Umsetzung dieser Modi in Videospielen funktioniert. In Sportspielen lassen uns diese Kampagnen träumen. Speziell FIFA bietet mit der Option, nur einen einzelnen Spieler aus Third-Person-Sicht zu steuern, ein gutes Stück Immersion.

Das Stadion beschallt das Spielfeld von allen Seiten. Gleichzeitig gilt es am Platz den Spielfluss im Auge zu behalten. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich also sehr gut in die Szene hineinversetzen. Doch wie steht es mit der Rahmenerzählung? Welche spannenden Geschichten kann ein Sportspiel erzählen, die begeisterte Fans nicht bereits aus unzähligen Filmen kennen?

Einmal ins Büro bitte © Electronic Arts

Der böse Coach, die rivalisierenden Kapitäne, eine tragische Verletzung samt Comeback, Bestechung, Streit innerhalb des Teams und das alles überstrahlende Sportwunder als Happy End – die Filmschmieden dieser Welt haben all diese Plots bereits dutzende Male auf die Leinwand gebracht. Die Chancen stehen gut, dass Fans einer bestimmten Sportart deren Ups und Downs bereits erzählt bekommen haben.

Das Rad wird freilich niemand neu erfinden und so bemühen wir in diesem Zusammenhang noch eine weitere Redewendung: “Nutzt’s nichts, schadets nicht.” Nur, weil etwas bereits existiert hat, muss eine Neuauflage nicht automatisch schlecht sein. Die Verkaufszahlen der FIFA-Serie scheinen dies auch zu belegen, obwohl zumeist kaum mehr als ein Kaderupdate und die aktuellste Ausprägung fehlerhafter Spieleranimationen geboten wird.

Der neue Karrieremodus bringt ein bisschen frischen Wind ins Genre der Sportspiele. Immerhin können die jeweiligen Titel zur Premiere dieses Features nun mit mehr Inhalt für sich werben. Selbst als Nicht-Fan oder Casual-Spieler begeistert der Moment, wenn das eigene Konterfei den Pokal in die Höhe stemmen darf. Stadien und Arenen jubeln und die rauchenden Daumen haben sich am Ende ausgezahlt.

Einsam seine Runden drehen

Rennspielen fällt es deutlich schwerer, diese Glücksmomente heraufzubeschwören. Im virtuellen Rennwagen ist es einsam. Lediglich die schnarrende Stimme des Boxenfunks dringt durch den donnernden Motorenlärm. Bei 300km/h lesen sich die Plakate der Zuschauer relativ schlecht. Jeder Moment ist der Jagd nach Rundenzeiten gewidmet. Ein kurzer Konzentrationsfehler und Kiesbett und Reifenstapel heißen einen willkommen.

Aber auch in Rennspielen wollen Spieleentwickler seit vielen Jahren Geschichten verpacken. Bereits DTM Race Driver setzte 2002/03 auf einen Karrieremodus mit Hintergrundgeschichte. Zwei rivalisierende Fahrer im Zentrum, das Hocharbeiten von den langsameren Autos zur Königsklasse als gewohnte Rahmenbedingung. Doch wirklich mitreißend sind diese Versuche bis heute nicht.

Ursachensuche

Ein Storymodus in Rennspielen hat schon grundsätzlich einen schwereren Start, als jener in anderen Sportspielen. Je realistischer ein Racer programmiert ist, desto mehr rückt die Kontrolle des Fahrzeugs in den Fokus. Allein die ganzen technischen Einstellungen an einem Rennwagen sind eine Wissenschaft für sich. Dieses Setting dann in eine schnelle Rundenzeit umzusetzen, fordert dem Spieler noch einmal alles ab.

An dieser Stelle muss auch geklärt werden, was mit dem Begriff Rennspiel eigentlich gemeint ist. Zum Zwecke dieses Artikels sprechen wir dabei von einem simulationsnahen Spiel wie Gran Turismo, Forza oder die erwähnte Reihe an Tourenwagen-Spielen. In diesen Spielen stehen klar die Autos und das Rennen selbst im Mittelpunkt. Das reine Bewegen eines Fahrzeugs, wie etwa in Driver, macht noch kein Rennspiel im eigentlichen Sinne.

Grand Turismo Sport braucht nicht unbedingt eine Story © Sony

Am Beispiel Driver zeigt sich aber sehr gut, welche Komponenten bei Rennspielen fehlen, um gute Geschichten zu erzählen. In einem Wettrennen geht es grundsätzlich darum, schneller als der Kontrahent am Ziel zu sein. Eine packende Geschichte müsste diesem Siegeswillen einen bestimmten Grund geben. Im Rennsport liegt die Legitimation des Siegeswillens aber bereits in der Natur der Sache.

Wanted: Bezugsperson

In professionellen Rennserien geht es darum, wer seine Maschine am besten abgestimmt hat und anschließend damit das Ziel als Schnellster durchquert. Eine klare Prämisse, die sich immer wiederholt. In Driver fällt die technische Komponente weg. Der Spieler bekommt nur über die Story die Motivation, wie er sein Fahrzeug bewegen soll. Obendrein existieren Missionen, die entschleunigend wirken. Zum Beispiel bei Beschattungen.

Der wahrscheinlich größte Faktor ist aber die fehlende Verbindung zum Protagonisten. Alle Zwischensequenzen sind nutzlos, wenn wir statt dem Hauptcharakter im aktiven Spielprozess nur eine Blechkiste steuern. Sichtbarer Mensch und nachvollziehbare Emotionen weichen einer sterilen Karosserie. Im ersten Teil von Driver existiert dieser Umstand ebenfalls noch.

Driver 2 ließ den Spieler bereits zu Fuß die Straßen von Havanna und Rio de Janeiro erkunden. Endlich ein Pixelhaufen, mit dem man sich identifizieren konnte. In Teil 3 näherte sich die Serie noch weiter an den Erfolgstitel Grand Theft Auto an. Der Grafiksprung von PS1 auf PS2 machte aus den “Strichmännchen” als Menschen erkennbare Spielfiguren. Waffen und somit Missionen zu Fuß kamen hinzu. Interaktion mit anderen Personen brachte mehr Farbe – mehr Gefühl – in die Erzählung.

All das lässt ein Rennspiel nicht zu. Der Fahrer hält nicht eben mal am Rand zum Kaffeeklatsch mit dem Streckenposten. Ebensowenig ballert er sich durch die Boxengasse, um Konkurrenten loszuwerden. Auch die packendste Liebes- oder Familiengeschichte wird in einem klassischen Rennspiel immer wie ein Fremdkörper wirken. Jegliche emotionale Tiefe verpufft an der Stoßstange der Konkurrenten.

Die “Evolution” des Rennspiels

Der “Nutzt’s nichts, schadets nicht”-Aspekt bleibt ein sehr schwacher Argumentationspunkt für Storymodi. Trotzdem scheinen moderne Sportspiele geradezu versessen aufs Geschichtenerzählen zu sein. Mit Need For Speed: Payback hat sich ein weiteres Franchise vom klassischen Wettrennen abgewandt. Fahrmissionen, unterbrochen von Zwischensequenzen und Zeitlupeneinstellungen, lagen im Fokus des entsprechenden E3-Trailers.

Need for Speed Payback setzt dafür umso stärker auf eine kinoreife Geschichte © Electronic Arts

Diese Entwicklung erlebten wir in Ansätzen bereits zu Zeiten von Need For Speed: Underground 2 (2004) und Need For Speed: Most Wanted (2005). Racing und Tuning standen aber dort nach wie vor im Vordergrund. Wer der Gegner war und warum, machte auf der Ziellinie keinen Unterschied. Einzig die Platzierung zählte. Ohne hollywoodreife Untermalung geht es nun scheinbar nicht mehr.

Zu allen Regeln gibt es naturgemäß auch Ausnahmen. Gran Turismo Sport geht nun bewusst den entgegengesetzten Weg. Aus diversen Trailer- und Teaservideos im Rahmen der diesjährigen E3 konnte man heraushören, dass der Wettkampfaspekt weiter forciert wird. Die schiere Flut an sammelbaren Fahrzeugen wurde deutlich reduziert. Stattdessen nimmt man den Suffix “Sport” wörtlicher denn je.

Unterschiedliche Erwartungen

Sportspiele haben es schwer mit dem Geschichtenerzählen. Dabei müssten sie es für viele Spieler überhaupt nicht. Eine schnelle Partie FIFA zum Abschalten oder sich konzentriert der Herausforderung einer Nürburgring-Nordschleife stellen – Sportspiele aller Art unterhalten ausgezeichnet ohne Hollywoodskript. Zumeist entsteht die Geschichte auch so im Kopf der Spieler.

Unterm Strich beantworten wir die Frage des Artikels also mit einem kontroversen Nein. “Nutzt’s nichts, schadets nicht” reicht als Legitimation eines halbgaren Storymodus nicht. Sportspiele geben uns die Möglichkeit, unsere Träume zu leben. Wenn es also nicht nur ein schneller Zwischendurchtrip in die Sportarenen der Welt ist, beengt ein Storykorsett dieses Erlebnis eher, als es auszuschmücken.


Titelbild © Electronic Arts

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!