Das gelungene Experiment: A Bird Story

Stille Wasser sind tief. Das wissen wir spätestens seit Old Man’s Journey. Wir sind während dem Steamsale über ein weiteres Kleinod gestolpert, dass aus wenig viel gemacht hat. A Bird Story geht dabei richtig ins Herz.

Taten sagen mehr als Worte, lautet ein altes Sprichwort. Auf diese Prämisse baut das experimentelle Kurzspiel von Freebird Games auf. A Bird Story erschien bereits 2014 und handelt von einem kleinen Jungen und dem namensgebenden Vögelchen.

Der Schüler lebt ein tristes Leben. Seine Eltern kommunizieren nur durch Nachrichten und scheinen selten zur selben Zeit zuhause zu sein wie er. Mitschüler spielen ihm Streiche, die den Zorn seiner Lehrerin auf ihn ziehen. Nachdem er daraufhin aus dem Klassenzimmer geworfen wird, tritt er den Heimweg an.

Reduziertes Design

Den langen Marsch nach diesem verkorksten Schultag steuert der Spieler selbst. In den Kommentaren unter der Steamseite von A Bird Story finden sich Beschwerden, dass diese scheinbar ereignislosen Szenen auch gleich automatisch ablaufen könnten. Doch darin liegt genau die Raffinesse des Spiels. A Bird Story ist nicht etwa ein aufwendiges 3D-Action-Adventure in 4K-Auflösung und mit aufwändigen Gesichtsanimationen. Es wurde im RPG-Maker erstellt.

Der liebevolle Artstyle hat ebenfalls großen Anteil am Stimmungsbild

Das und der Umstand der fehlenden Dialoge macht Storytelling über andere Methoden notwendig. Dazu zählt eine clevere Auswahl der spielbaren Szenen. Der lange Marsch zu Beginn des Spiels überträgt die Traurigkeit des Schülers auf den Spieler. Man fühlt mit dem einsamen Jungen mit, ohne je eine Träne zu sehen oder den Protagonisten sprechen zu hören. Der grandiose Soundtrack unterstreicht dabei die Stimmung. Die melancholischen Pianoklänge gehen tief unter die Haut. In späteren Szenen wird diese Mechanik sogar noch deutlicher.

Freunde fürs Leben

Zum Beispiel mit dem Auftritt des Vögelchens. Erneut auf dem Heimweg von der Schule, rettet der Junge den Vogel vor einem aggressiven Dachs. Zunächst bleibt das Vöglein scheu. Doch während unser Protagonist den Angreifer nach einer zweiten Attacke verscheucht, versteckt sich der kleine Piepmatz im Schulrucksack des Jungen. In der Hoffnung auf einen neuen Spielkamerad nimmt er ihn kurzerhand mit nach hause.

Dort kümmert er sich liebevoll um seinen neuen Freund. Diesen Part übernimmt erneut der Spieler. So muss eine Schüssel mit Wasser gefüllt und eine Scheibe Brot in Krümel zerteilt werden. Und natürlich tun wir das gerne und voller Liebe. Leider stellt sich heraus, dass das Vögelchen sich am Flügel verletzt hat. Es führt wohl kein Weg an einem Tierarztbesuch vorbei. Den Weg dorthin steuert abermals der Spieler. Wir dürfen dem Arzt beim Behandeln sogar assistieren.

Nie mehr allein

Am Ende der Behandlung holt die Tierärztin einen Käfig. Unser verletzter Freund soll weit weg von uns alleine in der Praxis bleiben? Da hat die Tante Doktorin die Rechnung ohne uns gemacht. Schwupps ist das Vögelchen zurück im Rucksack und die beiden Unzertrennlichen nehmen reißaus. Als Spieler bejubelt man diese Entscheidung natürlich.

Nach der erfolgreichen Flucht wartet aber schon die nächste Herausforderung. Der kleine Piepmatz sucht sein Zuhause. Für diese und andere Szenen verschwimmen in A Bird Story die Grenzen zwischen Realität und Fantasie des Jungen. Er bastelt aus den Seiten seines Schulbuchs einen übergroßen Papierflieger. Damit fliegen wir ihn und seinen kleinen Freund durch unterschiedliche Landstriche auf der Suche nach den Eltern des Vögelchens – vergebens.

Mit dem Papierflieger gehts auf Reisen

Die Zeit vergeht und der Flügel des Vogels will einfach nicht heilen. Voller Verzweiflung überwindet sich der Junge zu einem erneuten Besuch bei der Tierärztin. Diese erwartet ihn bereits samt Käfig vor ihrer Praxis. In letzter Sekunde überlegt es sich der Schüler doch noch anders und sucht erneut das Weite. Er bringt es einfach nicht übers Herz, seinen Freund in den Käfig sperren zu lassen. Tierärztin und auch die böse Lehrerin, die wir in der Schule mit unserer Anwesenheit für eine Zeit verschont haben, verfolgen uns durch das angrenzende Waldstück.

Knapp bevor uns beide einholen, können wir uns auf unserem Papierflieger in Sicherheit bringen. Junge und Vögelchen schweben durch die Wolken, als ein Gewitter aufzieht. Blitze zucken über den Himmel und schlagen wieder und wieder in unser Fluggerät ein. Schließlich zerbricht der Flieger und wir stürzen ab.

Wir wollen Emotionen

Die Geschichte endet nicht an dieser Stelle, jedoch sollte dieses kleine Juwel jeder für sich selbst erleben. A Bird Story fesselt durch seine simple Erzählung von der ersten Minute an. Soundtrack und die geschickte Wahl der Interaktionsmöglichkeiten binden den Spieler gekonnt in die Handlung ein. Wenngleich es insgesamt nur circa eine Stunde dauert, um A Bird Story zu erleben, wartet hier für kleines Geld doch eine außergewöhnliche Erfahrung.

Manchmal lässt die Entscheidung, nicht alle Sinne gleichermaßen zu strapazieren, in einem Spiel Tiefgang vermissen. Über Gordon Freemans Gedanken in Half-Life können wir leider nur spekulieren – wie es der eine oder andere Youtuber auch auf amüsante Weise getan hat. Der Masterchief aus Halo versteckt sämtliche Mimik unter seinem Helm. Spiele wie A Bird Story oder auch Old Man’s Journey gewinnen dafür durch Reduktion im Design an zusätzlicher Immersion. Weniger ist manchmal doch mehr.


Bildmaterial: © Freebird Games

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!