Das Gehirn: Der Controller der Zukunft?

Ein New Yorker Startup entwickelt eine Möglichkeit, die euer Hirn zu eurem Controller macht. Und das ohne chirurgischen Eingriff. Von Florian Born

“Der Controller ist schuld! Ich hab’s gedrückt, aber der hat’s nicht kapiert!” Gebt es zu. So etwas habt ihr auch schon gesagt, oder? Wir jedenfalls können unsere Hände nicht in Unschuld waschen. Zu einfach ist es, die Technik für das eigene Versagen in einem Spiel zu beschuldigen. Zum einen, weil sie sich nicht wehren kann. Zum anderen, weil die Art und Weise, wie wir Spiele steuern, tatsächlich nicht perfekt ist.

Das soll jetzt keine Ausrede für alle werden, die zum vierten Mal in Smash von der Stage fallen. Aber denkt mal darüber nach, wie umständlich es wirklich ist, bis eine Information von unserem Hirn bis zum Charakter auf den Bildschirm gelangt.

Eine Anleitung

Schritt 1: In unserem Oberstübchen formt sich der Befehl, den Charakter zu bewegen. Sagen wir: Spring!

Schritt 2: Unser Hirn übersetzt diesen Befehl – “Spring!” –, sodass unsere Hände etwas damit anfangen können. Zum Beispiel: Daumen auf X.

Schritt 3: Diese Information wird in ein elektrisches Signal verwandelt und wandert über unsere Nervenbahnen zu unserer rechten Hand.

Schritt 4: Unser rechter Daumen drückt die X-Taste.

Schritt 5: Die Mechanik im Controller erkennt, dass wir einen Befehl eingegeben haben, und rechnet das mechanische Signal ihrerseits in ein elektronisches Signal um.

Schritt 6: Per Kabel oder Bluetooth (in den meisten Fällen) wandert das Signal zum Computer [Anm.: Das beinhaltet logischerweise auch Konsolen]. Der erkennt: “Hey, da hat jemand X gedrückt!”, und führt die Aktion aus, die er ausführen muss, wenn jemand X drückt.

Schritt 7: Der Charakter auf dem Bildschirm springt.

All diese Schritte brauchen wir nur, wenn wir unseren Charakter springen lassen wollen. Eine der simpelsten Aufgaben, die man in einem Spiel bewältigen kann. In diesem Prozess werden unsere Gedanken nicht einmal oder zweimal, sondern gleich viermal übersetzt und von einem Medium auf das andere übertragen.

Eine Übersetzung

Zuerst in unserem Hirn von einer realen Aktion zu dem entsprechenden Befehl im Spiel. Dann von einem elektrischen Signal zu einer mechanischen Bewegung. Gleich darauf wieder von einer mechanischen Bewegung zu einem elektrischen Signal und abschließend von einem elektrischen Signal zu ausgeführtem Code.

Geht es darum, unseren Charakter springen zu lassen, stellen uns diese vielen Schritte mit ihren Übersetzungen noch vor kein allzu großes Problem. Kniffliger wird es dann schon, wenn wir komplexe Kombos in einem Beat’em’Up oder präzise Manöver in einem Rennspiel ausführen wollen.

An dieser Stelle übrigens Kudos an eure Gehirne dafür, wenn sie das hinbekommen und ebenso Kudos an die Leute, die diese Controller bauen!

Nichtsdestotrotz sind diese vielen Übersetzungen aber wahnsinnig fehleranfällig. Das betrifft vor allem einen bestimmten Schritt und auch wenn ihr es gerne weiterhin auf die Technik schieben würdet, sind nicht die Controller gemeint. Das schwächste – und vor allem langsamste – Glied in dieser Kette sind eure Hände.

Ein Hindernis

Sie müssen gemeinsam mit eurem Hirn abstrakte Aufgaben verrichten und das mit einer Präzision und Schnelligkeit, die wir sonst selten brauchen. In anderen Worten: Sie verlangsamen – egal, wie gut ihr spielt – immer den ganzen Prozess.

Aber nicht nur, weil ihr die Bewegung ausführen müsst, sonder auch weil die Computer eure abstrakten Bewegungen wieder aufnehmen müssen.

Schneller und präziser sind Befehle über Touchscreens oder mit VR-Controllern. Denkt darüber nach: Es ist leichter und effizienter mit einem VR-Controller als Schwert nach einem Block zu schlagen, als eine dem sehr ähnliche Bewegung mit einer Maus oder einem konventionellen Controller auszuführen. Auch könnt ihr per Touchscreen leichter auf ein Icon auswählen als mit eurer Maus.

VR-Controller und Touchscreens verkürzen die Kette der Übersetzungen, die wir oben beschrieben haben. Euer Hirn muss eine natürliche Bewegung wie einen Schlag nach einem Block nicht erst umständlich in etwas Ungewohntes wie eine Daumenbewegung umwandeln.

Aber da geht noch mehr.

Eine Abkürzung

Was, wenn wir den Sprung- oder Schlagbefehl von unserem Hirn auf direktem Weg an den Computer senden könnten? Wenn wir uns diesen furchtbar langsamen und fehleranfälligen mechanischen Zwischenschritt von Hand auf Controller sparen könnten und direkt ein elektrisches Signal (von unserem Hirn) in ein anderes (im Computer) übersetzen könnten.

Das hört sich an wie eine seltsame, vom Cyberpunk inspirierte Technologie, die unser aller Untergang bedeuten könnte, aber es gibt einige Leute, die genau daran arbeiten. An sogenannten Brain-Machine-Interfaces, die die Art und Weise, wie wir mit Computern kommunizieren, vollständig auf den Kopf stellen sollen. Zu dieser Riege gehören nicht nur Startups, sondern auch große Namen wie Elon Musk und diverse Forschungsinstitute. Unter anderem auch die Technische Universität Graz.

Ein solches Brain-Machine-Interface oder Brain-Computer-Interface würde die Befehle unseres Hirns direkt übertragen. Besonders interessant ist diese Technologie selbstverständlich für hochtechnisierte Prothesen und Arbeiten in riskanten Umgebungen. Aber auch im Alltag könnte sich so eine Technologie als nützlich erweisen.

Schreiben ohne Stift und Tastatur. Keine nervigen Gesten oder Spracheingabe bei der Verwendung von Augmented Reality-Brillen. Oder natürlich auch: Kein Controller mehr beim Spielen.

Eine Hürde

Solche Brain-Machine-Interfaces bringen aber natürlich auch eine ziemliche Hürde mit sich. Wer bei vollem Verstand würde in einer Welt voller Computerviren, Hacker und übermächtiger Internetfirmen/Datenkraken schon sein Hirn an einen Computer anschließen? Im schlimmsten Fall auch noch mit Zugang zum Internet.

Auftritt: CTRL-labs. Das Startup aus New York hat dieses Problem ebenfalls erkannt und bietet eine Alternative, die eure grauen Zellen in Ruhe lassen soll. Stattdessen verwendet CTRL-labs ein Armband, das elektrische Impulse aus den Nerven eures Armes auslesen kann. Es kann dabei nicht mit eurem Gehirn interagieren oder mehr “sehen” als das, was ihr auch eurer Hand geben wollt.

Das heißt konkret: Euer Hirn ist sicher, ihr müsst euch kein Implantat irgendwo einsetzen lassen und ihr könnt den Controller jederzeit wieder ablegen. Es heißt aber auch, dass ihr dennoch direkt Befehle von eurem Hirn an den Computer senden könnt, ohne dabei mechanische Übersetzungsfehler riskieren zu müssen.

Eine Erklärung

Hier eine grobe Erklärung, wie das funktioniert: Euer Hirn sendet elektrische Impulse über eure Nerven zu eurer Hand hinunter. Zum Beispiel, um eine Faust zu machen. Das Armband von CTRL-labs kann diesen Befehl lesen, auswerten und – als Daten verarbeitet – zu einem Computer schicken.

Interessant dabei ist, dass ihr eure Hand nicht wirklich zur Faust ballen müsst, damit der Computer dieses Signal erkennt. Mit etwas Übung reicht die gesendete Intention aus eurem Hirn. Und mit noch mehr Übung könntet ihr damit digitale Finger bewegen, die ihr eigentlich gar nicht habt.

Das ist nur eine grobe Erklärung für diese Technologie. Mehr in die Details müssen wir hier gar nicht gehen, aber wenn ihr euch dafür interessiert, schaut euch die Keynot von CTRL-labs’ CEO an. Er erklärt das Thema da wesentlich ausführlicher.

Ein neuer Weg?

Für euch wesentlich interessanter dürfte ohnehin sein, wie sich das auf eure Art zu spielen auswirken könnte. Deshalb seid ihr ja hier. Unter anderem könnte eine Technologie wie die von CTRL-labs die Steuerung von VR-Spielen viel präziser machen. Stellt euch vor, ihr könntet eure Hand in echt schließen und ihr VR-Pendant würde die Bewegung exakt kopieren.

Aber es geht noch weiter. Eine solche neue Art der Eingabe könnte zu genau dem Sprungbrett werden, die Augmented Reality braucht, um durchzustarten. Datenbrillen wie die HoloLens müssten nicht mehr umständlich eure Gesten zu erkennen versuchen, sondern könnten sie einfach auslesen. Ihr müsstet eure Hände dafür auch nicht mehr ständig anschauen.

Auch klassisches Gaming könnte damit stark beschleunigt werden. Statt an einem Controller zu ruckeln, müsstet ihr nur noch leichte Fingerbewegungen vollführen. Mit etwas Übung nicht mal mehr das.

So aufgeregt wir schon auf diese Entwicklung sind, müssen wir aber zugeben: Sie hat auch ein Manko. Wir können dem Controller nach dem vierten Fall von der Stage nicht mehr die Schuld in die Schuhe schieben.


Bebilderung © Freepix

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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