Wieviel Gewalt darf Wolfenstein?

In Österreich darf ein Kunstwerk vieles: Schockieren, aufwühlen, unterhalten, kritisieren. Die aktuelle Diskussion um Gewalt und Zensur in Videospielen wirft aber auch die Frage nach den Pflichten auf.

Zensur ist eines der größten Diskussionsthemen rund um Wolfenstein 2: The New Colossus. Während Österreich und die Schweiz beim fünften Teil der Serie, Wolfenstein: The New Order, noch von der Zensur von NS-Symbolik verschont blieben, gab es beim neuesten Game keine Ausnahmen mehr im deutschsprachigen Raum.

Wie auch bei The New Order ist der Grund für die Zensur die rechtliche Lage in Deutschland, denn dort ist die Darstellung nationalsozialistischer Symbole in Videospielen nicht zulässig. Die Entscheidung diese Version auch in Österreich zu veröffentlichen fiel „auf dringendes Expertenraten”, so Bethesda in einer Pressemitteilung.

Keine Hakenkreuze dank Zensur

Hakenkreuze wurden an allen Stellen durch neutrale Symbole ersetzt

Weder von Nazis noch vom Deutschen Reich ist im Spiel die Rede, es geht lediglich um ein „Regime“. Außerdem wurde Adolf Hitler, der nicht als „Führer“ sondern als „Kanzler“ bezeichnet wird, verändert. Er erscheint in der deutschsprachigen Fassung ohne Bart und mit einer weniger markanten Synchronstimme.

Wieso und warum und überhaupt?

Darüber, ob die Atmosphäre unter der Zensur leidet, lässt sich diskutieren, jedoch haben die Änderungen in diesem Teil der Reihe auch Auswirkungen auf die Story und deren Logik. Der Spieler erhält sehr früh einen Einblick in die Kindheit der Hauptfigur William „B.J.“ Blazkowicz. Sein Vater ist ein brutaler Rassist und misshandelt Blazkowicz und dessen Mutter regelmäßig.

Spielt man die unzensierte Version, in der von Nationalsozialismus und dessen Gedankengut gesprochen wird, bildet sich im Kopf der Spieler direkt eine Verbindung zwischen dem Vater und dem verhassten Regime. Es ist nachvollziehbar, dass die Erfahrungen aus der Kindheit den Hass des Protagonisten auf das nationalsozialistische Regime nähren.

Als junger B.J. erfahren wir nicht nur Gewalt, unser Vater zwingt uns ebenfalls zu dieser grausamen Tat

B.J.s Vater will uns sogar dazu zwingen, unser Haustier zu töten

Wer mit der zensierten Version einsteigt und keinen der vorhergehenden Teile der Reihe gespielt hat, dem fehlt aufgrund der extremen Zensur ein Verbindungsstück zwischen Blazkowiczs schwieriger Kindheit und seinem abgrundtiefen Hass auf das „Regime“. Erst im späteren Verlauf des Spieles werden mehr Informationen über die Beziehung zwischen dem Vater und der Diktatur preisgegeben.

Exkurs: Immer diese Gewalt

Angesichts der derzeit entfachten Diskussion um Gewalt in Videospielen ist es beinahe ein Wunder, dass Wolfenstein 2: The New Colossus bei diesen Anfangsszenen gefühlt glimpflich davon gekommen ist. Immerhin erleben wir hier häusliche Gewalt an einem Kind aus der Ego-Perspektive.

The Last of Us – Part II sowie Detroit: Become Human traten die Debatte mit ihren aktuellen Trailern los. Die Szene aus Detroit, in der ebenfalls häusliche Gewalt thematisiert wird, brachte das Fass zum Überlaufen und wirft eine wichtige Frage auf: Wo liegt die Grenze zwischen brachialer Gesellschaftskritik und übertriebener Gewaltdarstellung?

 

Beide Szenen wirken unterschiedlich. In Wolfenstein 2 können wir nichts tun. Wir sind dazu verdammt, die gesamte Cutscene mitzuerleben. Danach springt die Handlung zurück in die Gegenwart und wir schlüpfen wieder in das psychische Wrack “B.J.”. Gepaart mit der bereits angesprochenen Zensur fehlt also zunächst jegliche kuratierende Erklärung zum Erlebten.

Man stelle sich nun vor, eine Person, der dies im realen Leben widerfahren ist, spielt Wolfenstein 2. Die “Ab 18”-Freigabe dürfte wohl kaum ausreichen, um ein derart heikles Thema ausreichend zu begleiten. Spiele haben also auch die Verantwortung, das Gezeigte und Erlebbare zu erklären und einzuordnen.

Im Falle “Detroit” haben wir lediglich einen kleinen Ausschnitt des noch unfertigen Spiels zu sehen bekommen, in dem wir – im Gegensatz zu Wolfenstein 2 – nicht wehrlos sind. Eine dritte Person kann intervenieren und die Misshandlung möglicherweise verhindern. Auch zeigt der Trailer eine unmittelbare Reaktion im Anschluss. In der Rolle des Droiden können wir dem Kind zur Flucht verhelfen.

Wichtig wird sein, inwieweit das Spiel das Thema vor und nach diesem Ausschnitt vorbereitet und weiter behandelt. Für den puren Schockfaktor allein sind derartige Szenen zwar wirksam, in unseren Augen aber nicht legitim. Wer sich in seiner Kunstform, und als solche darf man Videospiele mittlerweile bezeichnen, diesen Themen annimmt, muss sie auch in ihrer Gesamtheit behandeln, um einen Mehrwert zu generieren.

Gretchenfrage: Ist Wolfenstein 2 ein gutes Spiel?

Für Genre-Einsteiger gibt es neben den brutalen Anfangsmomenten noch einige andere Hürden. Obwohl man zu Beginn des Spiels einen kurzen Überblick über die Handlung von Wolfenstein: The New Order erhält, erscheint auch dieser nicht ausreichend, um sich mit der Hauptfigur identifizieren zu können.

The New Colossus ist eindeutig ein Spiel für erfahrenere Zocker. Die Tutorials erscheinen zwar als kleine Anmerkungen am Bildschirmrand, allerdings saugt einen die Action von Beginn an ein und man übersieht die Hilfetexte im Kugelhagel. So finden wir uns anfangs in scheinbaren Sackgassen wieder, ehe ein Blick ins Tutorialmenü die Lösung offenbart.

B.J. wähnt sich dem Tod nahe, will dies seiner Frau aber vorenthalten

Blazkowicz als liebender angehender Vater kontra B.J., die depressive gleichgültige Killermaschine

Auch der fast bipolar wirkende Unterschied zwischen Blazkowicz in den Videosequenzen und seinem Verhalten während des Gameplays ist gravierend. Während er bei ersteren, wie erwartet, brutal und selbstbewusst auftritt, führt er während des Gameplays regelmäßig Selbstgespräche in denen er apathisch und desinteressiert wirkt. Als Spieler beginnt man irgendwann zu fragen, wozu man überhaupt die Missionen erfüllen soll, wo dem Protagonisten doch alles egal zu sein scheint.

In Sachen Action liefert Bethesdas Shooter gewohnte Qualität. Ob mit der Axt und schallgedämpfter Pistole oder einem Maschinengewehr in jeder Hand, “B.J.” hat für jede Situation das richtige Werkzeug. Auf niedrigen Schwierigkeitsstufen funktioniert die simple Run&Gun-Taktik vorzüglich. Wer auf mehr Herausforderung steht, findet sich auf den hohen Schwierigkeitsgraden vermutlich zum Schleichen gezwungen.

Axt statt Messer: Wolfenstein 2 bietet ein neues Nahkampfwerkzeug

Die Action kommt in Wolfenstein 2 nicht zu kurz

Das hängt nicht nur mit den Gegnern zusammen, sondern auch mit “B.J.”s desolatem Zustand. Statt der gewohnten 100 Hitpoints ballert sich der Held seit einer verheerenden Granatenexplosion mit lediglich halber Lebenskraft durch die Nazireihen. Mittels Power-Ups können wir unser Schild zwar auf 200 Punkte erhöhen, “dank” Pick-Up-Radius im Ausmaß eines Fingernagels übersehen wir die winzigen Rüstungssplitter aber häufig.

Die Lebensenergie lässt sich ebenfalls erhöhen, allerdings nur temporär. Sobald ein Upgrade die Hitpoints über 50 hebt, zählt diese Zahl rasch wieder bis zum Standardwert herunter. Darüberhinaus sind die Upgrades meist an einfach sinnfreien Stellen platziert und laufen aus, bevor wir überhaupt auf die nächsten Gegner treffen.

Fazit

Wolfenstein 2: The New Colossus macht grundsätzlich Spaß. Allerdings hätte ihm der eine oder andere Monat Feinschliff gut getan. Sowohl Gameplay- Kanten als auch der beinahe lähmend depressive Hauptcharakter trüben den Spielspaß. Wir werden dennoch alles daran setzen, das virtuelle Amerika zu befreien.

[Anm: Wir haben das Spiel dankenswerter Weise von Bethesda zur Verfügung gestellt bekommen. Das wirkt sich aber nicht auf unsere Review des Spiels aus. Wir wollten es euch nur gesagt haben.]


Co-Autorin: Claudia Schröder | Trailer: © Youtubekanal Sony | Bilder: © Bethesda

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!