Der Mythos Beta als Marketingwerkzeug

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Betatest-Zugang noch eine Besonderheit darstellte. Heute dient der mystifizierte Begriff Beta nur noch als Marketingwerkzeug.

Schon früh in meiner “Karriere” als Gamer, die ein paar Jahre vor der Jahrtausendwende begann, hat mich die Faszination um einen besonderen Mythos gepackt: Der sagenumwobene Betatest. Nur die allergrößten Nerds im Freundeskreis bekamen ganz selten einen Zugang dazu. Entsprechend groß war die Neugier und die Bewunderung für die Auserwählten.

Ein brandneues Spiel noch vor seinem Release in die Finger zu bekommen, war in vergangenen Jahrzehnten in der Regel nur durch die mittlerweile rar gewordenen Demoversionen möglich. Doch irgendwie schafften es die Tausendsassas sogar noch davor ein Blick auf das nächste Command & Conquer oder Star Wars Sowieso zu erhaschen.

Als Betatest noch Testen war

Zu meiner Zeit im Community-Team von Deep Silver kam schließlich auch für mich der große Moment. Dank zugegeben geringeren Barrieren durfte ich am Betatest für Sacred 2: Ice & Blood teilnehmen. Neben der Begeisterung kam aber auch gleich etwas Ernüchterung: Das war richtige Arbeit.

Mit der heute verbreiteten Bedeutung des Begriffs hatte das damals nichts zu tun. Zum Beta-Client gab es einen Zugang im entsprechenden Betaforum sowie einen Log-in für den Mantis Bug Tracker. Letzterer diente zur peniblen Auflistung sämtlicher entdeckter Fehler, inklusive Screenshots und detaillierter Beschreibung zur Reproduktion.

Das Buzzword ist geblieben

Ich erinnere mich außerdem an eine im Netz als illegaler Download kursierende Alphaversion des Spiels S.T.A.L.K.E.R. – Shadow of Chernobyl. Die bestand lediglich aus einem halben Level. Keine Randtexturen, keine NPCs, nur ein bisschen Gegend, in der der Spieler laufen und ein Auto ein paar Meter weit fahren durfte.

Alphaversionen bekam Otto Normalgamer überhaupt nie in die Finger. Umso größer war schon damals die Faszination, die von solchen frühen Entwicklungsbruchstücken ausging – zumal um besagtes Spiel schon einiges an Vorfreude und Hype aufgebaut wurde, Spieler aber immer wieder auf einen späteren Release vertröstet wurden.

Ebendieser Hype ist es, warum wir heute nach wie vor und gefühlt immer häufiger Open Beta und Closed Alpha in den Timelines unserer sozialen Medien lesen. Was früher verschiedene Phasen der Entwicklung eines Videospiels waren, wird heute in einen großen Topf geworfen und mit ordentlich Marketingsprech gewürzt.

Gelegentlich liest und hört man vom Aussterben der Demoversionen. In Wahrheit sind diese heut nur anders benannt. Es ist zu einer Konvergenz von Alpha, Beta und Demo gekommen. Diese Abschnitte sind zusammengefallen und geistern heute als Closed Alpha oder Open Beta durchs Internet. Eine Sonderform davon ist in weiterer Folge der Early Access.

Die Auflösung steckt aber erst bei letzterem im Namen. Der “frühe Zugang” ist der Dreh- und Angelpunkt eines Marketingtricks, der den Hype hinter den mystischen Begriffen Alpha und Beta geschickt in die heutigen Möglichkeiten des Web übersetzt. Partizipation ist Trumpf und wenn sich das auch noch nach etwas Besonderem anfühlt, sticht es alles.

Das kalkulierte Timing

Wie zumeist lässt sich diese neue Taktik der Spieleentwickler nicht als eindeutig gut oder böse kategorisieren. Auf der einen Seite steht ganz klar der Versuch, möglichst viele Menschen mit einem Produkt in Verbindung zu bringen. Das geschieht, wie an jüngsten Beispielen offensichtlich, wenige Wochen vor Release des fertigen Spiels.

Damit ist auch bewiesen, dass eine offene Beta oder Alpha in der heutigen Zeit nichts mehr mit der Testumgebung zu tun hat, wie ich sie noch bei Sacred 2 miterlebt habe. Einzig sogenannte Stresstests für die Serverlandschaft hinter Multiplayertiteln werden als sichtbarer Grund für die Pseudotests genannt. Ob das überhaupt erwähnenswert ist, darf bezweifelt werden. Der Hauptgrund ist ein anderer.

No Beta, no quality

Etwas mehr Testen in einer richtigen Beta hätte einigen Spielen nicht geschadet. © Capcom

Die spielbaren Versionen sind lediglich begrenzte Ausschnitte aus dem zumeist längst fertigen Spiel. Oder glaubt irgendjemand, ein Monster Hunter World würde eine Woche vor Release noch in Trümmern auf den Rechnern der Entwickler liegen, während mehrere Demophasen weltweit bereits flüssig laufen? Natürlich nicht.

Ein Vorteil dieser neuen Form von Demo ist, dass Spieler bereits einen sehr guten Eindruck vom fertigen Produkt bekommen. So kaufen weniger Leute die Katze im Sack, was im Falle von Metal Gear Survive sicher einige vor der Enttäuschung falscher Hoffnungen bewahrt hat. Der Name erinnert an ein Spiel, mit dem das Endprodukt jedoch kaum noch etwas gemein hat.

All about the money

Wenngleich es noch einige Romantiker in der Games-Industrie geben mag, unterm Strich sind auch Spielehersteller gewinnorientierte Unternehmen. Wenn sie also in den wenigen Wochen vor dem Erscheinungstermin derartige Testversionen veröffentlichen, hat das auch finanzielle Hintergründe.

Ein Videospiel ist für viele eine Kostenfrage. Wieviel ein Spiel kosten darf, muss und soll, wird aktuell wieder hitzig diskutiert. Damit Spieler also tatsächlich die Scheine locker machen, sollen Open Beta und Co die Vorfreude steigern. Böse Zungen würden von einem Anfixen der Spieler sprechen. Tatsächlich wird das Verlangen aber nur geweckt, wenn die Vorabversion auch überzeugt. Ein Grund mehr, warum Entwickler es tunlichst vermeiden sollten, fehlerhafte und unfertige Software zu veröffentlichen.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Die kürzlich abgehaltene Closed Alpha zu Hunt: Showdown legte wie auch diverse Betas offen, dass es sich um eine frühe Version des Spiels handelte und mit Fehlern zu rechnen sei. Auf Alpha folgt bekanntlich Beta. So ging die Alpha, sehr zur Überraschung aller, plötzlich direkt in eine Early-Access-Phase über, die moderne Variante der Beta. Diese Version ist nun für 29,99€ auf Steam erhältlich. Wer von der vorangegangenen Alpha überzeugt war und/oder neugierig ist, kann die weitere Entwicklung des Spiels nun über diesen Preis unterstützen.

Frühe Partizipation zeigt uns also, was sein könnte, aber auch, was ist. Wenn also von der nächsten Open Beta die Rede ist, sollten wir immer im Hinterkopf haben, dass uns gleichermaßen ein Köder wie eine mehr oder weniger ausgefeilte Vorschau erwarten. Sofern Entwickler und Publisher ethisch integer agieren, bleiben uns so wenigstens Enttäuschungen wie nach so manchem E3-Trailer erspart.


Titelbild © Ubisoft

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!